„Daten sind wie Rohstoffe“ – Ein Interview mit Prof. Dr. Kristian Kersting

Wir brauchen eine Algorithmensouveränität in Europa, meint Kristian Kersting. Er ist Professor an der Technischen Universität Darmstadt für Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen und Mitglied von AI FRM e.V. Seit Kurzem ist er auch Investor in ein Heidelberger Startup Aleph Alpha. Und er ist Co-Direktor von hessian.AI, das in den nächsten Jahren ganze 22 neue Professuren im KI-Bereich in Hessen schaffen will. Ein Gespräch über die Zukunft der KI in Deutschland und Europa.

Es klingt ein wenig wie Science Fiction: Eine künstliche Intelligenz, die Aufgaben lösen kann, deren Lösung sie nie erlernt hat. Bisher läuft es so: Künstliche Intelligenzen lernen anhand von großen Mengen an Bildern, wie zum Beispiel Katzen aussehen. Dafür muss dem System aber jeweils gesagt werden: Das ist eine Katze. Einer generalisierten Intelligenz aber reicht es, die Bilder ohne Erklärung zu bekommen, um zu sagen, dass es eine Katze ist. Und mehr noch: Sie kann eigene Schlussfolgerungen treffen und damit auf Fragen antworten, auf die sie eigentlich nicht programmiert worden ist.

Daten sind nur Mittel zum Zweck

Genau daran arbeitet zurzeit Aleph Alpha aus Heidelberg. Das große Vorbild des Startups: OpenAI, das mit über einer Milliarde US-Dollar finanzierte Unternehmen von Elon Musk und Microsoft. Seit diesem Jahr ist Kersting beteiligt an dem KI-Startup, das echte Pionierarbeit leiste, so Kersting. Die Heidelberger haben in einer Series-A Round satte 27 Millionen Euro eingesammelt.

Aktuell arbeiten Projekte wie Gaia-X oder das Financial Big Data Cluster an europäischen Dateninfrastruktur. Das reiche aber nicht, denn diese Daten seien nur ein „Mittel zum Zweck“, erklärt Kersting weiter. Vergleichbar sei dies mit Bibliotheken: „Die wollen wir ja nicht um der Bibliotheken willen haben, sondern weil wir sie brauchen, um in der Gesellschaft voranzukommen. Genauso verhält es sich mit Daten“. Sie zu sammeln, reiche nicht. Man müsse sie auch anwenden.

Aleph Alpha arbeitet nun an der Nutzung der Daten, die in europäischer Hand liegen soll. Ein Beispiel dafür sei die aktuelle Debatte um intelligente Gesichtserkennung: „Wenn wir merken, dass jemand diskriminiert wird, dann müssen wir die Möglichkeit haben, das zu ändern. Das könnte schwer werden, wenn große Firmen in China oder den USA hier die Zügel in der Hand haben“, sagt Kersting. Daten verhielten sich wie Rohstoffe: Man kann damit Geld verdienen, und sie sind umkämpft. Es sei also naiv, auf seine „Buddies“ zu hoffen.

Deutschland ist in der Forschung schon Spitze

Gleichzeitig, das ist Kersting wichtig zu betonen, gibt es sehr viel internationale Zusammenarbeit in der KI-Forschung, dort seien Europa und Deutschland exzellent. Problematisch bleibe aber der Wissenstransfer in die Industrie. Einem Bericht des Ministeriums für Wirtschaft und Energie aus dem Jahr 2019 zufolge bleiben ganze 43% der Stellen im KI-Bereich offen. „Wir hätten dafür die Möglichkeit, aber in Deutschland ist man noch zurückhaltend. Die Industrie wartet lieber ab, bis sie Lösungen einkaufen kann“, glaubt Kersting. Die Bundesregierung will die Forschung zu künstlicher Intelligenz stärken und an die Weltspitze führen, so steht es zumindest in ihrer „Strategie Künstliche Intelligenz“ . Dafür will sie bis 2025 drei Milliarden investieren, aber davon seien bisher weniger als eine Milliarde Euro investiert, so Kersting. Und das Programm läuft seit 2018.

Wissenstransfer bleibt Problem

Trotzdem, es gehe voran. Zum Beispiel mit hessian.AI. Die hessische Landesregierung will 38 Millionen Euro investieren und 22 neue Professuren im Bereich künstliche Intelligenz schaffen. So soll nicht nur die Forschung ausgeweitet werden, sondern auch die Akzeptanz in der Bevölkerung und der Wissenstransfer in die Wirtschaft erleichtert werden. Kersting ist Gründungsmitglied und Co-Direktor der Initiative. Ein Vorschlag von Kersting und hessian.AI: Einen „KI-Begegnungsraum“ schaffen, in dem Unternehmen auf die für KI-Anwendungen benötigten Rechenzentren und Know-how zurückgreifen können. „Der Mittelständler kann sich dann dort einmieten, etwas entwickeln und schauen, ob es ihm etwas bringt. Und dann erst kommt die Investition“, sagt Kersting zu der Idee.

Ein Beispiel für die Kooperation von Wirtschaft und Forschung findet sich übrigens am Lehrstuhl von Kersting selbst. Aleph Alpha hat einen Mitarbeiter für einen sogenannten „Dual PhD“ an die TU Darmstadt geschickt. Eine Lösung, die in Zukunft noch öfter genutzt werden soll, wenn es nach Kersting geht: „Wir müssen es hinkriegen, dass das Wissen um KI in der Industrie ankommt. Und bis wir junge KI-Experten ausgebildet haben, dauert es in paar Jahre. Solange haben wir aber nicht mehr Zeit“. Doktoranden auszubilden sei daher der erste Schritt, den man schon jetzt gehen könne. Eine fundierte Bildung rund um künstliche Intelligenz fange aber auch nicht erst in der Universität an, sondern in der Schule, erklärt Kersting weiter. Ängste entstünden, wenn man etwas nicht wisse. Daher müssten die mündigen Bürger von morgen ihre Rechte kennen und wissen, was Daten sind. Dann erst könne sich jeder sein eigenes Bild machen und der gesellschaftliche Diskurs beginnen.

Informatiker von Kleinauf

Dass er Informatiker werden möchte, war für Kersting nicht immer klar, auch wenn ihn Informatik schon in der Schule fasziniert habe. „In der zwölften Klasse hat meine Schwester mir dann richtig die Leviten gelesen, weil sie meinte, ich kümmere mich nicht genug um meine Zukunft. Sie hat gesagt: ‚Kristian, sei froh, dass du ein Gebiet hast, das dich interessiert und in dem du gut bist.‘ Der Tritt in den Hintern hat auf jeden Fall geholfen“, sagt Kersting über seine Anfänge. An der Universität habe er dann tolle Lehrmeister gehabt und sich weiterentwickelt. Heute ist der 47-jährige Professor mit mehreren Preisen ausgezeichnet, unter anderem von der European Association for Artificial Intelligence, der Fraunhofer Gesellschaft und dem mit 100.000 Euro dotierten deutschen KI-Preis. Was ihn an der Informatik so fasziniert? „Dass aus Chaos Ordnung wird“, so Kersting. Echte Lösungen aus Unmengen an Daten zu filtern erscheint da also als genau die richtige Berufung für den Informatik-Professor.

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