Digitale Bildung ja, aber wann und wieviel?

Smartphone, Laptop und Co. gehören heute fest zum Leben dazu – und sind auch aus dem Kinderzimmer nicht mehr wegzudenken. Vom deutschen Schulsystem wird das bisher aber wenig berücksichtigt – und das obwohl der Fachkräftemangel in der IT zunimmt. AI Frankfurt RheinMain hat deswegen gemeinsam mit der Initiative Techeroes und der Stadt Bad Vilbel zum Innovationstag für digitale Bildung geladen. Ein Panel über die Zukunft der Bildung.

Die Redner

  • Adriane Castrinakis, Obestudienrätin in Frankfurt und Mitgründerin von Smart Natives, engagiert sich für digitale Bildung und für Mädchen in technischen Berufen
  • Rinku Sharma, Gründer von Techeroes
  • Nico Becker und Nico Wolfert: Gründer von GoKidogo
  • Dr. Anne Riechert: Professorin für Datenschutzrecht und Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences, Vorstandsmitglied des Netzwerks AI Frankfurt Rhein-Main e.V.

Akkuschrauber, reihenweise Rechner, an deren Tischen Kabelstränge herausragen und kleine Roboter so weit das Auge reicht: Die Räumlichkeiten der Techeroes sind eigentlich eher eine Werkstatt. Dort bietet Gründer Rinku Sharma MINT & Ökonomische Bildung ab dem Alter von 5 Jahren an. Auf einem Bildschirm läuft das Dino-Spiel für den Chrome-Browser, bei dem der Spieler mit einem Dino über Hindernisse springen muss. An den Rechner ist eine kleine Lampe gebaut. Wenn man die Hand darüberlegt, unterbricht das Lichtsignal und der Dino beginnt zu laufen. Dieser wird mit jeder Runde besser – denn eine Künstliche Intelligenz (KI) lernt mit und steuert den Pixelsaurier. „Diese Ideen haben die Kinder selbst. Wir sind eigentlich eher ihre Begleiter“, erzählt Sharma.

Digitale Bildung ist die Zukunft, und Kinder und Jugendliche sollte man so früh wie möglich für das Thema begeistern, davon ist er überzeugt. Das stößt nicht bei allen auf Zustimmung. Ein Gast aus dem Publikum hingegen gibt zu: „Als Elternteil im Kindergarten hofft man, dass es dort nichts Digitales gibt und unsere Kinder so lange wie möglich einfach nur spielen können“. Das stellt keinen Gegensatz dar, weil man auch spielerisch und ganz analog auf digitale Bildung im Kindergarten vorbereiten kann.

Einig sind sich die Anwesenden aber, dass digitale Bildung spätestens in der Schule eine riesige Chance birgt. Schließlich fehlt es an Fachkräften: Laut einer Studie der Friedrich Ebert Stiftung werden allein in Hessen bis 2030 ganze 5400 Fachkräfte im IT-Bereich fehlen, das ist bundesweit der höchste Engpass im Verhältnis zur Nachfrage nach IT-Kräften. Sharma hat lange bei der Lufthansa gearbeitet und ist beruflich viel gereist. Bei deutschen Jugendlichen konstatiert er mit Blick auf andere Länder „ein extremes Defizit“, wenn es um digitale Bildung geht.

„Ein Problem im System“

Hinzu kommt: Digitale Bildung hat gut 15 Jahre Vorlauf, deswegen müsse man schon jetzt an darüber nachdenken, wie die Welt bald aussehen wird, erklärt Adriane Castrinakis. Schule und Bildung sollten dabei so gestaltet werden, dass sie auch Mädchen und junge Frauen ansprechen. In der Tat herrscht noch immer eine starke Diskrepanz bei den Geschlechterverhältnissen in IT-Berufen: Laut Friedrich Ebert Stiftung liegt der Frauenanteil in IT-Berufen gerade einmal bei 15,7 Prozent.

Eine große Herausforderung dabei: Die Verbindung zwischen Bildung und Wirtschaft. Diese möchte das Land Hessen vor allem durch mehr Forschung und Ausbildung schaffen. Derzeit sind 38 Millionen Euro Investment und 22 neue Professuren im Bereich Künstliche Intelligenz geplant. Dennoch, es gibt einen „Fehler im System“, sagt Castrinakis. Noch immer werde zu stark gefiltert. Wer beispielsweise kein Abitur hat, darf nicht studieren, das ist für die meisten die Regel. Fachinformatiker haben meist mindestens Realschulabschluss. IT-Berufe stehen zu wenig Menschen offen. Ein Unternehmer aus dem Publikum sagt zum Beispiel, dass er und seine Kollegen sich freuen würden, wenn die Schulen mit Interessierten auf sie zukämen – denn die Firmen suchen nach Leuten.

Ersetzt KI bald Lehrer:innen?

Auch die Frage nach der Rolle von KI in der digitalen Bildung hat die Runde beschäftigt. „Wir müssen ein Bewusstsein schaffen, mit KI zu arbeiten“, sagt Anne Riechert dazu. Das bedeutet: Kinder und Jugendliche müssen nicht zu Profiprogrammierer:innen ausgebildet werden, benötigen aber ein Verständnis für moderne Technologien. Auch unter Erwachsenen herrscht teils häufig Unkenntnis über die Fähigkeiten und Grenzen von Algorithmen – ein kritischer Blick auf Technik erscheint daher umso wichtiger für junge Menschen.

Zwei, die von Technologie noch nie genug bekommen konnten, das sind Nico Becker (17 Jahre) und Nico Wolfert (16 Jahre). Beide wollen mit der Technologie die Welt mitgestalten und sie gerechter und nachhaltiger machen.

Zusammen haben sie Go Kidogo entwickelt, eine nachhaltige Lieferplattform in FrankfurtRheinMain. Die Idee ist im techeroes- Kurs „Code for Future“ entstanden und zehn Bad Vilbeler Teenagern zu verdanken. Die Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und siebzehn Jahren wollten aktiv etwas für den Umweltschutz tun und daher haben sie Go Kidogo, eine nachhaltige und verpackungsfreie Lieferplattform für die Gastronomie, entwickelt.

„Will man im Leben etwas bewegen, sollte man für Veränderungen offen sein – und auch mal um die Ecke denken, um neue Wege zu entdecken“ sagte Herr Sharma.

Die Jugendlichen sind an Technik interessiert und machen sich, wie viele andere Kinder, Sorgen um ihre Zukunft. Sie wollen Umweltprobleme lösen und „wir haben ihnen gezeigt wie Technologie und insbesondere die Künstliche Intelligenz hierzu genützt werden kann“.

„Unsere Jugend ist by Default digital natives. Es ist unsere Verpflichtung sie zu mündigen Bürgern zu machen“ sagt Frau Castrinakis.

Weiter in der Diskussion ging es um den Einsatz der KI in der Schule.

Eine Zukunft von KI in der Bildung sieht Nico Becker auch in der Art und Weise, wie Unterricht stattfindet: „Vielleicht gibt es ja bald eine Vielzahl an Räumen, in denen eine KI das Unterrichtsmaterial bereitstellt. Unsere Lehrer:innen wären dann eher Begleiter oder Moderatoren“. Das sieht auch Castrinakis so, sie geht sogar noch einen Schritt weiter:
In Zukunft könnte KI ungewollte Vorurteile bei der Notenvergabe verhindern. Gleichzeitig kann eine KI aber auch immer in die andere Richtung steuern und ungewollte Bias erlernen, die sich selbst dabei bestätigen. „Wir brauchen eine stetige Kontrolle“, so Riechert. Lehrende wird es also immer geben – nur ihre Rolle könnte sich ändern.

Also: Digitale Bildung ist wichtig – da sind sich alle Anwesenden einig. Und sie birgt Chancen. „Wir haben Talente in Deutschland“, sagt Herr Sharma mit Blick auf seine Erfahrungen bei den techeroes. Wir müssen sie nur fördern.

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