Dr. Philipp Hartmann von applied AI

„KI wird Unternehmen grundlegend verändern“

 

Was müssen Vorstände zum Thema künstliche Intelligenz beachten, um ihr Unternehmen fit für die Zukunft zu machen? Das hat Dr. Philipp Hartmann von appliedAI in einer neuen Studie in Zusammenarbeit mit der Executive Search Beratung Odgers Berndtson untersucht. Je früher Unternehmen KI in ihr Unternehmen integrieren, desto besser, glaubt Hartmann.

Herr Hartmann, Sie sagen, dass Künstliche Intelligenz bald die Unternehmenswelt dominieren wird. Warum?

Sehr viele Prozesse können durch KI verbessert werden. Wissensarbeit, die bisher an den Menschen gebunden ist, lässt sich immer mehr automatisieren und auch Probleme lösen, die jenseits menschlicher Intelligenz liegen. Insoweit wird KI für alle Unternehmen wichtig werden, aber je nach Industrie für einige schneller als für andere. Beispielsweise ist die Relevanz von KI für ohnehin sehr datengetriebene Versicherungen schon heute viel größer als zum Beispiel für eine Stahlgießerei – aber das ist nur eine Frage der Zeit.

Einer Studie der Boston Consulting Group zufolge spüren sieben von zehn Unternehmen heute keinen Einfluss von künstlicher Intelligenz auf ihr Geschäftsmodell. Spricht das nicht eigentlich gegen Ihre These?

Das hängt davon ab, welche Unternehmen man fragt: Auf der einen Seite gibt es eine große Gruppe an datengetriebenen Unternehmen, die ihr Geschäft schon völlig auf KI ausgelegt haben, von Uber über Netflix bis Google. Auf der anderen Seite stehen die meisten „traditionelleren“ Firmen, bei denen oft das Know-how um die richtigen Anwendungen von KI fehlt. Auch wenn viele schon die Wichtigkeit des Themas KI verstanden haben und vielleicht auch ein KI-Team aufgebaut haben, sitzt dieses leider zu oft im Elfenbeinturm und die Lösungen setzen sich nicht durch. Deswegen braucht das ganze Unternehmen ein Verständnis von den Chancen künstlicher Intelligenz, vor allem der Vorstand.

Braucht also wirklich jeder Mittelständler jetzt eine Abteilung für KI?

Sicherlich muss und kann auch nicht jeder Mittelständler eine KI-Abteilung aufbauen – aber mit dem Thema beschäftigen sollte sich jeder. Es gibt überall Verbesserungspotenziale, und die sind ein Marktvorteil. Wir sehen auch zunehmend positive Beispiele bei kleinen und mittleren Unternehmen. Einer unserer Partner stellt beispielsweise Metalldetektoren her, mit denen Lebensmittel gescannt werden, bevor sie in den Verkauf gehen. Durch KI-Algorithmen konnten sie mit den bestehenden Daten, die der Metalldetektor generiert, deutlich bessere Detektionsergebnisse erzielen. Das ist ein Beispiel, wie ein Unternehmen durch KI sein Produkt so verbessern kann, wie es vorher nicht möglich war, auch wenn es sich dabei um keine „revolutionären“ Anwendungen handelt. In vielen Bereichen schreitet diese Entwicklung sehr schnell voran. Wer sich nicht vorbereitet, wird davon überrascht, dass Konkurrenten durch KI ein besseres Produkt anbieten können.

Und wie kann die Unternehmensführung solche Prozesse anstoßen? Sie wird ja schließlich nie so sehr Expertin sein, wie Fachkräfte im KI-Bereich.

Zunächst einmal muss sie sich grundlegend mit dem Thema auseinandersetzen. Zum einen, um als Rollenmodell vorneweg zu gehen. Zum anderen, um ein Grundverständnis von künstlicher Intelligenz zu entwickeln und entscheiden zu können, was Hype ist und was vielleicht eine reelle Chance für das eigene Unternehmen darstellt. Was noch ganz wichtig ist: Als Leiter eines bestimmten Bereichs muss ich verstehen, welche Risiken mit den Chancen durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz einhergehen. Das geht von rassistischen Werbeslogans bis hin zu tödlichen Szenarien wie beim autonomen Fahren. Nur wenn ich darüber genau Bescheid weiß, kann ich KI zielorientiert nutzen.

Wie ändern sich die Rollen denn konkret?

Der CEO muss natürlich eine Führungsfunktion einnehmen und gutes Beispiel sein. Wenn KI auf CEO-Ebene nur als Buzzword betrachtet wird, dann hilft es dem Unternehmen nicht. Der Vorstand muss wie gesagt auch kein tiefer Experte werden, aber er muss die Technologie kennen. Ein CEO muss hier die Strukturen schaffen, dass KI angewandt werden kann und sich auch eingehend mit ethischen Fragen auseinandersetzen. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Bosch zum Beispiel, Volkmar Denner, hat extra Trainings zum Thema KI genommen und damit das Thema glaubhaft in der Strategie verankert.

Wie sieht es denn bei Rollen aus, die man vielleicht nicht direkt auf dem Schirm hat, dem Chief Finance Officer (CFO) zum Beispiel?

Ein CFO muss bei Budgetprozessen verstehen, welche Mechanismen bei einer KI anders funktionieren als bei klassischen Projekten. Bei KI-Prozessen weiß ich erst am Ende, was dabei herauskommt. Da muss ich Experimente auch zulassen, das kollidiert oft mit traditioneller Finanzplanung. Auch das Thema Risikomanagement ist wichtig. Ich muss wissen, welche Risiken auf mich zu kommen, wenn ich zum Beispiel Algorithmen zutraue, die Kreditvergabe an meine Kunden zu validieren.

Unternehmen steht also ein gewaltiger Transformationsprozess bevor. Welche Herausforderungen sehen Sie da?

Einen vernünftigen Blick und Zugang zum Thema KI zu entwickeln ist schon an sich eine große Aufgabe. Gleichzeitig muss man auch sagen, dass sich Arbeitsplätze wandeln werden. KI wird einige Aufgaben automatisieren, zum Beispiel im Bereich der Entscheidungsfindung. Das muss nicht automatisch etwas Schlechtes bedeuten: Unternehmen kämpfen schon heute mit Fachkräftemangel. Wenn wir die Kräfte, die wir haben, effizienter machen können, haben hinterher alle etwas gewonnen. Aber klar: Jobprofile werden sich ändern, das ist eine Herausforderung. KI wird Unternehmen grundlegend verändern.

Insgesamt hat sich Deutschland aber bei den Themen KI und digitale Transformation nicht besonders hervorgetan.

Stimmt, grundsätzlich hinkt Deutschland da leider etwas hinterher. Häufig fehlt das Verständnis für die Chancen von KI und deswegen plädieren wir ja für ein stärkeres Engagement der Vorstände in diesem Bereich. Das Geschäft mit KI wird durch die USA und ihre großen Plattformen wie Microsoft, Google und Facebook dominiert, das wird dort und zum Beispiel in China auch politisch stark gefördert. Bei uns gibt es zwar das Bekenntnis zu künstlicher Intelligenz, aber es fehlt einfach eine klare Vision, wo es hingehen soll.

Über Dr. Philipp Hartmann

Der studierte Wirtschaftsingenieur arbeitet seit drei Jahren als Director of AI Strategy bei appliedAI, Europas größte Initiative für die Anwendung führender, vertrauenswürdiger KI-Technologie mit der Vision, Europas Innovationskraft im Bereich KI zu gestalten. appliedAI ist Teil der gemeinnützigen UnternehmerTUM in München, einem der größten Innovations- und Entrepreneurshipzentren in Europa. Die aktuelle Studie ist in Zusammenarbeit mit der international tätigen Executive Search Beratung Odgers Berndtson entstanden.

Wie hat Dir der Artikel gefallen?

1 Stern2 Stern3 Stern4 Stern5 Stern (Noch keine Bewertungen)
Loading...
Nach oben scrollen